Kitsch as Kitsch can

Frau Frank steht im Lehrerzimmer und weint. Frau Frank ist bei uns Vertretungslehrerin. Sie ist total nett und unglaublich hübsch. Leider muss sie nach den Ferien gehen. Ich mag sie sehr und rauche immer viel mit ihr. Jetzt steht sie da und weint.
„Was ist denn?“
Gestern habe ich auch geweint. Vor Wut. Stundenplantechnische Wut. Aber Frau Frank…die bekommt doch gar keinen neuen Stundenplan. Warum weint sie?
„Was hast du denn?“ fragen ich sie noch mal und lege ihr den Arm um die Schultern. „Komm, wir gehe erstmal eine rauchen.“

„Ich habe mich von meiner Lieblingsklasse verabschiedet. Wir haben gefrühstückt und die waren so süß. Die haben immer so toll mitgemacht. Die waren jede Woche mein Lichtblick. Und dann sind sie heute auf die Tische gestiegen und haben alle gerufen ‚Oh Captain mein Captain.'“

„Echt?“ jetzt kommen mir plötzlich auch die Tränen. „Echt, das haben die gekannt? Diesen Uraltfilm kennen die?“

„Den habe ich…“ sie schluchzst wieder „…den habe ich mit ihnen im Englischunterricht durchgenommen.“

Und da kam mir die Idee. Nächste Woche gucke ich den Film auch mit meiner Klasse!!!!!! Dann gebe ich ihnen 50Euro und sage, dass sie dafür Blumen kaufen sollen. Meinetwegen an der Tanke, aber sie sollen die Plastikverpackungen abmachen, damit das dann wie ein toller Blumenstrauß aussieht. Der Strauß muss riesig wirken. Die Karte, die sie mir schreiben sollen, habe ich auch schon vorformuliert. In dem kitschigen Style meiner Schüler.

Seit Tagen produzieren wir ja in meiner Klasse nur noch Einladungskarten für die Fachlehrer. Heute haben sie mir fast alle fertigen Karten übergeben: „Und Sie tun die in die Fächer? Ja? Nicht vergessen, Frau Freitag!“

Da sie aber die Karte für ihre Deutschlehrerin Frau Hinrichs noch zu Hause habe, stecke ich mir alle Einladungen erstmal in die Tasche. Im Bus lese ich das Geschwurbel.

„Lieber Herr… wir wollen uns für vier tolle Jahre Matheunterricht bedanken, wir wissen, dass wir nicht immer die besten Schüler waren, wir danken Ihnen, dass Sie es mit uns ausgehalten haebn und laden Sie ganz herzlich zu….“

„Lieber Herr… wie Sie sicher wissen haben wir unsere Abschiedsfeier….wir waren nicht immer die besten Schüler, dennoch haben wir Sie immer sehr gemacht und es hat auch Spaß gemacht….“

„Liebe Frau… Sie waren ein Jahr eine sehr gute Lehrerin, wir mögen Sie und Sie sind eine nette Lehrerin, Sie bringen uns vieles bei und wir haben gut gelernt und darum wollen wir, dass Sie zu unserer Abschlussfeier kommen…Wir bestehen darauf, dass Sie kommen.“

„Liebe Frau… wir hatten zwei wundervolle Jahre mit Ihnen. Ihr Unterricht hat immer Spaß gemacht und gelernt haben wir auch sehr viel….Sie haben uns bis zum Ende unterstützt…“

„Lieber Herr…. wir hatten nicht sehr lange zusammen Unterricht, Sie hatten bestimmt schöne, aber auch schlechte Zeiten mit uns. Trotz der kurzen Zeit würden wir uns sehr freuen, wenn Sie…“

„Lieber Herr… auch wenn wir uns seit vier Jahren nicht gut benehmen, sind Sie dennoch einer unserer Lieblingslehrer. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie mit uns feiern würden…“

„Liebe Frau…. auch wenn einige Schüler unserer Klasse für Sie sehr anstrengend waren…sind Sie uns dennoch ans Herz gewachsen.“

Süß, oder? Und wo ist meine Einladung? Mit vielen dennochs und herzlichst und so? Und Dank für den tollen Unterricht und die tolle Klassenführung? Ich will auch so eine Einladung!!! Jetzt kriegen die Kollegen diese netten Karten und ich? Ich kriege mal wieder nix.

Okay, also die Karte für mich müssen sie nur in ihrer Kinderschrift auf die Karte, die ich ihnen gegeben habe übertragen und die Blumen sollen sie kaufen. Und vor allem sollen sie dicht halten. Wenn die Kollegen rausfinde, dass ich manipuliere….das wäre megapeinlich.

Allgemein

29 Gedanken zu “Kitsch as Kitsch can

  1. Milka

    Vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, warum man keine Geschenke bekommt. Die Gründe dafür liegen wahrscheinlich nicht alleine bei Ihren „ach so schlimmen“ Schülern. Vielleicht sind sie einfach schlichtweg eine schlechte Lehrerin, die ihren Schülern nichts geben kann. Warum sollten die sich dann noch bei Ihnen bedanken? Ich bin auch Pädagogin und ich kenne Hauptschulen und ihre Insassen sehr gut – und meist bekommt man zuück, was man verdient. Und mal nebenbei – als Lehrerin hat man für einen verhältnismäßig entspannten Job richtig guts Geld, also tun sie mal nicht so, als ob sie so aufopfernd zu ihren Schülern waren und den Schulalltag so uneigennützig ertragen. Und falls Ihnen der Job doch zu „hart“ wird, dann werden sie doch einfach Konditorin. Aber das ist nichts mehr, mit Ausschlafen bis um 6. Und auch nicht 16:00Ur Feierabend.

    • @Milka
      wie konnte man so einem schlimmen und bösen Kommentar schreiben ????
      es ist schon klar, dass sie nie diesen Blog gelesen haben und dass sie
      überhaupt gar nicht verstehen, wie viel Zeit eigentlich Frau Freitag investiert hat, um
      ihre Klasse zu kümmern 🙂 (und das nicht nur waehrend die Stunden… sondern auch auf Facebook, was total toll ist 😀 ) und so einfach zu sagen,dass Frau Freitag eine schlechte Lehrerin ist, weil die Schüller nicht denken, ihr etwas zu schenken ist total doff !!! Also, liess mal erst den Blog und schreibt nachher was du glaubst!!

      @ Frau Freitag

      1. Sie schreiben unglaublich tolll und ich kann kaum noch warten bis Mittwoch, um
      das Buch zu lesen 😀
      2. Ich glaube auch, dass Sie werden eine tolle Ueberaschung im Nu haben 🙂 denn sie lieben Ihnen schon klar viel,viel mehr als die andere Lehrerinnen 🙂 🙂
      und auch wenn nicht, sie wollten doch Ihnen schminken und all die andere Sachen machen, also sie sind doch lieb in ihrem Art und Weise 😉
      Wunderschoenes Wochenende Frau Freitag 🙂

    • Brahahahaaaaa der Kommentar von Milka ist soooo lehrer!
      Erinnert mich an den Grund warum ich die Pausen lieber allein im Klassenzimmer verbringe und es vermeide im Lehrerzimmer zu lachen oder zu freundlich zu sein. Am Ende denken die Lehrer noch wir könnten Freunde werden!
      Das Gute an der Schule sind hauptsächlich die Schüler und einige wenige Kollegen wie Frau Freitag. Naja, ich schätze die meisten wissen was ich meine.

  2. @milka:

    Hui, ganz schön aggressiv. Anscheinend haben Sie den Umgangston an Hauptschulen ja schon verinnerlicht. Ich bin übrigens auch an einer Hauptschule, und auch wenn ich meine Arbeit liebe, die süßen Kleinen können ein schon ganz schön auf Trab halten. MfG, Grinsekatze

    @FrauFreitag;

    wer weiß. vielleicht planen Ihre Schüler ja eine nette Überrraschung für Sie! Liebe Grüße!

  3. Autsch, das is mal ne harte Antwort.

    Ich würde sagen, sie denken einfach nicht daran Ihnen auch so etwas zu schreiben, sie sind ja schließlich die Klassenlehrerin. Vllt. Sehen sie es so, dass Sie das eh schon wissen, und Ihr Kommen zur Abschlussfeier sehen sie auch als selbst verständlich an. Vllt. kommt aber ja noch DIE Hammerüberraschung! Kopf hoch, das wird schon noch. Ohne Manipulation. Wobei ich die Aktion ja shcon sehr cool finde, den Schülern die Kohle zu geben und zu sagen, besorgt mir ne schöne Überrraschung. 😀

    Gruß

    MrL

  4. Die „Oh Captain, mein Captain!“-Aktion haben wir vor 3 Jahren auch veranstaltet, als wir die damalige Deutsch-Referendarin verabschiedeten. Ich dachte, nur unsere Klasse wäre auf so eine höchst kreative Idee gekommen. Frau Freitag, Sie berauben mich meiner Illusionen…

  5. „Oh Captain, mein Captain“ – oh, mein Lieblingsfilm. Und ich habe bei dem Film im Kino geheult (na, ja eine Träne verdrückt) … und tue es immer wieder .. und das als Mann

      • captain mein captain finde ich auch sehr geil und sehr rührend.
        (hab nur noch nicht mitgekriegt dass die schüler hier besonderen hang zur literatur hätten, dabei kommen sie ja selber schon drin vor, wenn die das wüssten! das müssen die doch mal erfahren)
        also wenn am ende heulen bleibt weil die kinder wenig auf die reihe kriegen dann ist es eben genau das, was Sie ja auch fühlen, ist doch auch ok. vielleicht weint dann immerhin jemand mit
        (muss ich jetzt gast anklicken oder wie?)

  6. Ich glaube eher, es handelt sich um ein ähnliches Phänomen wie: In meiner Heimatstadt gehe ich selten ins Museum, wenn ich auf Reisen bin, in fremden Städen eher. Oder: Mein Lebensgefährte bekommt sein Geburtstagsgeschenk weniger aufwändig eingepackt als jemand Außenstehendes, denn ich muss ihm nix beweisen. Warten Sie mal ab, bis auf der Abschlussfeier heiße Tränen fließen, dann zeigt sich’s, wie eng die Beziehung war.

    • sie war nur befristet eingestellt. sie ist noch keine richtige Lehrerin. Aber sie ist eine sehr gute noch nicht richtige Lehrerin,

  7. Liebste frau freitag, …das kann einem schon zu denken geben, was Milka da schreibt! Ich kann sie mir richtig vorstellen:
    Das ist bestimmt eine voll frustrierte Konditorin, die eigentlich am liebsten Hackfleischbrötchen mit Zwiebeln isst und abends ist ihr von dem Süßkram immer ganz übel….
    (Aber deshalb braucht sie doch die Schüler nicht „Insassen“ zu nennen…tststs, Insassen….das ist nicht besonders nett!)

    • ach der lieblingsschüler (herz, herz, herz…) den gibt es noch. der macht abi und immer wenn er mich trifft fragt er ganz interessiert, wie es mir geht und ich frage ihn immer, ob er noch lehrer werden will. und er will jedes mal.

  8. Na, aber ich bin SICHER, da kommt auch was fuer Sie, aber das wird eine UEBERRASCHUNG! kann gar nicht anders, natuerlich denken die an Sie! (wenn nix kommt, duerfen Sie mich hauen) NIX manipulieren, nie nix!!!
    Und wenn dann wirklich wirklich nix kommt, nehmen wir uns nochmal den ersten Kommentar vor, ok?!
    liebe Gruesse
    Christjann

  9. Liebe Frau Freitag,

    das Verhalten Ihrer Klasse ist doch nur Tarnung!!!! Insgeheim werden schon Pläne geschmiedet, wie man die beste Klassenlehrerin der Welt beim Abschlussball glücklich machen kann!! Zum Beispiel mit Freikarten für den Heidepark, vielleicht ist auch eine Dauerkarte für diverse Museen geplant…
    Liebe Frau Freitag, das wird schon!
    Zu dem Milka-Beistrag hier: Wer schon von Insassen einer Hauptschule spricht…
    Ein schönes Wochenende mit diesem und jenem wünscht Eva Luation, die heute in Berlin zum Abiball in eine Strandbar geht…

  10. Ich finde es eher toll, wenn die lieben Kleinen und deren Eltern dich auch Jahre danach noch grüßen und fragen, wie es dir geht,und von sich und ihren Kindern erzählen und ab und zu mal ne Mehl schreiben, usw. Manche kommen auch mal nach Hause zu Besuch… Da denke ich dann doch, da hab ich doch was erreicht. Und aus fast allen ist auch echt was geworden, darüber staune ich dann immer wieder… Und da bin ich dann auch zufrieden! (Die Blumen wären längst verwelkt.)

  11. Eins noch — seit wann gibt es denn diese Abschiedsgeschenk-und-wir-ham-Sie-all-s-lieb-Briefchenschreiberei? Zu meiner Zeit war das total unueblich. War vielleicht etwas nuechtern, aber irgendwie ehrlicher und weniger anstrengend fuer alle Beteiligten, denke ich.
    nix fuer ungut, ich wuensche Ihnen Arme voller Blumen, oder ein Blumentattoo…;) echt wirklich jetzt !
    again
    Christjann

  12. @milka:

    Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Auch Pädagoginnen, die mit Insassen von Hauptschulen bekannt sind – wohlweislich bezeichnen Sie sich nicht als Lehrerin. Also setzen Sie sich auf Ihre vier Buchstaben und lesen Sie in dem Blog herum, oder wenn Sie lieber Papierbuchstaben mögen, lassen Sie sich von ein paar Insassen das Buch von Frau Freitag zum Abschied schenken. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, das sich Frau Freitag weder über zu geringes Gehalt noch über zuwenig Freizeit beklagt – aber eben auch nicht über Schüler, die ihr das Lehrerinnenleben besonders einfach machen.

  13. Milka ist wohl ein wenig PMS-geschädigt und ich musste bei „Captain, my captain“ grad ein Tränchen verdrücken. Bin doch so ein Weichei…*g*

  14. In England gibt es tatsächlich vorgefertigte Karten zu kaufen: „For my teacher“. Das fand ich mal interessant, das kennt man hier ja gar nicht.

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