Filmbetrachtung: Der Tod in Venedig

Viscontis „Der Tod in Venedig“

Italien 1971

Buch: Visconti, Nicola Bandalucco – nach Thomas Mann

Regie: Luchino Visconti

Darsteller: Dirk Bogarde, Björn Anderson, Silvana Mangano

Verwendete Musik: Gustav Mahler

Literaturverfilmungen sind seit jeher Gegenstand feuilletonistischer Skepsis gewesen – zu Recht möchte man meinen, angesichts einer Überfülle von auf Zelluloid gebannten Romanen, Erzählungen und Geschichten, deren ästhetische Qualität zumindest als fragwürdig zu bezeichnen ist. Verzichtet man ganz auf die grundsätzliche Frage der Verfilmbarkeit, lässt man keinen zu literarischen Ehren gekommenen Stoff aus, kommt es zu künstlerischen Desastern wie etwa bei „Gruppenbild mit Dame“ oder „Die Blechtrommel“ (um nur zwei zu nennen).

Dennoch: Ausnahmen gibt es, herausragende Beispiele einer gelungenen Synthese von Literatur und Film – Balanceakte allemal. „Barry Lyndon“  gehört dazu und in besonderem Maße „Tod in Venedig“. Visconti hat es verstanden, einen kaum dialoglastigen, völlig auf die Wirkung von Bild und Musik abgestimmten Film zu schaffen, der – und dies ist entscheidend – die Lektüre nicht ersetzt, aber sie intensiv ergänzen vermag. Auf der anderen Seite bietet der Film einen unerhörten sinnlichen Reichtum, der wiederum die Erzählung unterstützt.  Das Schicksal des Deutschen Aschenbach im herbstlichen Venedig wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ein alternder Mann, der unvermittelt seine anomalen  erotischen Gefühle für einen polnischen Knaben entdeckt, an ihnen zerbricht und schließlich am Lido stirbt, hat Visconti behutsam und mit atemberaubendem atmosphärischen Geschick in Bilder verwandelt.

Dass er dabei aus dem Schriftsteller einen Komponisten à la Gustav Mahler machte ist nicht nur verzeihlich sondern zusätzlich reizvoll. Mahlers Adagietto aus der 5. Symphonie, das den Film quasi als Leitmotiv durchzieht, erzielt in Verbindung mit der ruhigen, farblich delikaten Bildgestaltung einen derart suggestiven Effekt, dass man von der filmischen Wiedererstehung einer Epoche, eines unwiderruflich verlorenen Lebensgefühls sprechen kann. Die Mahler-Renaissance profitierte ganz zweifellos von Viscontis schönster „Todesoper“ (die den Mittelteil der „Deutschen Trilogie“ einnimmt), dem Adagietto wurde gar das Los so mancher klassischen Komposition zuteil, als Filmmusik verkauft zu werden: nicht als Bestandteil einer Symphonie, sondern eben als das Thema aus „Tod in Venedig“. Gleichviel: Die sorgfältige Verknüpfung von Literatur, Musik, Bild und dem jeweiligen Mythos dieser drei Elemente mach den „Tod in Venedig“ zu einer Kostbarkeit der Filmgeschichte.

André Siepmann

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