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Sympathisches Gesicht Speed-Dating im Turbogang

Ein Gesicht huscht vorbei, man sieht es nicht einmal eine Sekunde lang. Und doch reicht diese Zeit, um zu beurteilen, ob man die Person attraktiv oder vertrauenswürdig findet. Was nach Schubkasten-Denken klingt, ist ein Trick des Hirns.

Speed-Dating könnte noch schneller ablaufen als im Minutentakt. Denn nicht die ersten fünf Minuten entscheiden, ob man einen Fremden sympathisch findet: Eine Zehntelsekunde reicht schon. Das Hirn entscheide nämlich in einer Zehntelsekunde, ob es das Gesicht des Gegenübers als sympathisch oder vertrauenswürdig einschätzt, berichten Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Psychological Science".

Die Psychologen Alex Todorov und Janine Willis von der Princeton University zeigten 117 Studienteilnehmern insgesamt 66 Porträtbilder, die sie dann beurteilen sollten. Dazu wurden die Probanden in fünf Gruppen eingeteilt, von denen jede eine andere Eigenschaft der Gesichter bewerten sollte. So mussten die Studenten entscheiden, ob ihnen die gezeigte Person attraktiv, sympathisch, vertrauenswürdig, kompetent oder aggressiv erschien oder nicht.

Jedes Porträtfotos wurde zunächst eine Zehntelsekunde lang gezeigt, dann eine halbe Sekunde und schließlich eine ganze Sekunde. Jedes Mal, nachdem ein Bild kurz auf dem Bildschirm erschienen und dann wieder erloschen war, sollten die Probanden den jeweils untersuchten Charakterzug einschätzen und angeben, wie sicher sie sich mit ihrer Entscheidung sind.

"Wenn die Probanden das Gesicht länger sehen konnten, hat sich ihr Urteil - von einer Ausnahme mal abgesehen - nicht grundlegend geändert. Die Beobachter waren sich ihrer Einschätzung dann aber sicherer", fasst Todorov die Ergebnisse zusammen. "Wir schätzen also superschnell ein, welche Charaktereigenschaften unser Gegenüber hat, obwohl wir noch nicht einmal ein Wort mit ihm gesprochen haben." Prinzipiell ist dieser Effekt schon seit langem bekannt, "Halo-Effekt" nennen Sozialpsychologen ihn. "Halo" heißt Lichthof - der Begriff soll anzeigen, dass der erste Eindruck alle nachfolgenden überstrahlen kann.

Emotionale Bewertung: Entweder positiv oder negativ

Man entscheide sich gar nicht bewusst, ob man ein Gesicht nun sympathisch finde oder nicht, so die Forscher - zumindest nicht in einer Zehntelsekunde. "Das ist ja gerade einmal die Zeit, in der ein visuelles Signal vom Auge bis zum zuständigen Bereich im Gehirn gelangt", sagte Hans Irtel, Wahrnehmungspsychologe an der Universität Mannheim, zu SPIEGEL ONLINE.

Es werden jedoch nicht alle Signale des Gesehenen nur im sogenannten visuellen Cortex, gewissermaßen dem Seh-Gehirn, verarbeitet. "Bei allen Wahrnehmungsvorgängen wird auch ein Strom von Signalen abgezweigt, der durch die Amygdala geht. In diesem Hirnbereich werden die sachlichen Informationen - hier also vom gezeigten Gesicht - emotional eingefärbt", erklärt Irtel. "Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: positiv und negativ." Und weil diese Bewertung parallel zur übrigen Verarbeitung ablaufe, urteile das Hirn so extrem schnell.

Das konnten Todorov und seine Mitarbeiterin auch bei ihren Probanden beobachten. Mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens, der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), machten sie sichtbar, wo das Gehirn gerade aktiv war: Während die Probanden die Porträtbilder sahen, war ihre Amgydala, auch Mandelkern genannt, besonders gut durchblutet.

Die Amygdala ist vor allem dafür bekannt, bei Angstgefühlen eine wichtige Rolle zu spielen. "Sie existierte schon vor Millionen von Jahren, bevor sich der präfrontale Cortex entwickelte, woher die rationalen Gedanken kommen", so Todorov.

Damals sei es für das Überleben extrem wichtig gewesen, Freunde und Feinde möglichst schnell zu erkennen. Aus diesem Grund habe sich im Gehirn ein System entwickelt, mit dem sich die Vertrauenswürdigkeit beurteilen ließe, ohne dass sich das viel langsamere logische Denken einschalten muss, so die Psychologen.

Die Versuchsteilnehmer reagierten also intuitiv auf die gezeigten Gesichter - und zwar so schnell, dass die Zeit für eine auf sorgfältiger Analyse basierende Entscheidung nicht reiche, folgern Todorov und Willis : "Eindrücke von Personen entstehen ohne Anstrengung und unmittelbar auf der Basis minimaler Information."

Eindruck aus erster Zehntelsekunde wird schnell revidiert

"Der erste Eindruck ist aber nicht der entscheidende. So einfach sind wir Menschen dann doch nicht gestrickt", gibt der deutsche Wahrnehmungspsychologe Irtel zu bedenken. Ein Gesicht liefere nur einen visuellen Eindruck, der könne aber in nicht einmal zehn Sekunden revidiert werden, zum Beispiel durch Gerüche oder die Stimme.

Das räumen auch Todorov und Willis ein: "Wir wollten nicht unterstellen, dass der erste, sehr kurze Eindruck sich nicht von rationalen Gedanken überholen ließe." Wenn man die Menschen kennenlerne, würde man natürlich einen umfassenden und durchaus anderen Eindruck bekommen, als nach der ersten Zehntelsekunde.

Unklar bleibe jedoch, welche Eigenschaften eines Gesichts für die unbewusste Entscheidung sorgen. Bekannt ist, dass eine starke Symmetrie und bestimmte Proportionen ein Gesicht attraktiver erscheinen lassen.

Tommer Leyvand von der Universität Tel Aviv hat kürzlich zusammen mit Kollegen eine Gesichtsretuschiersoftware entwickelt und damit Fotos von SPIEGEL ONLINE-Mitarbeitern "verschönert". Allerdings nicht unbedingt mit durchschlagendem Erfolg.

fba/ddp

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